Günter Discher
Mit Swing-Musik gegen die Nazis
Im Februar 1943 kam der 18 jährige Hamburger Günter Discher aufgrund eines Schutzhaftbefehls nach Moringen. Eindringlich schildert er in einem Interview seine unfreiwillige Ankunft in dem sogenannten „polizeilichen Jugendschutzlager“: „Wenn man dieses Lager das erste Mal sieht, mit den vielen Stacheldrähten und Lampen und Waffen-SS mit Maschinenpistolen und Hunden, dann wird einem schon mal ganz anders.“
Dieses Schicksal teilte er mit 16 anderen Jugendlichen aus Hamburg, die sich wie er der nationalsozialistischen Jugenderziehung entzogen hatten, die keinerlei Begeisterung für die Hitlerjugend verspürten und lieber lange Haare trugen und sich mit englischen Sakkos und Mänteln kleideten. Sie alle verband eine musikalische Leidenschaft: die Liebe zum Swing, dem Orchester-Jazz der 1930er Jahre.
Der Swing kam von den USA und England nach Deutschland und war auch hier unter jungen Leuten sehr populär. Die Nationalsozialisten diffamierten diese Musik als „entartet“, sprachen Verbote aus und verfolgten seine Anhänger. Für die Swing-Kids – wie sie sich selbst bezeichneten - war Swing-Musik und Swing-Tanz Ausdruck eines besonderen Lebensgefühls, dem Wunsch nach Freiheit und unbeschwertem Vergnügen.
Mit Kriegsbeginn verschärften sich Anpassungszwang und Unterdrückung. Auf Verbote folgten Verhaftungen und für manch einen eine mehrjährige Haft im Jugend-KZ Moringen. Der damals siebzehnjährige Günter Discher war bereits vor Erhalt des Schutzhaftbefehls mehrere Wochen inhaftiert gewesen. Nach Abschluss der Schule hatte er 1940 eine kaufmännisch-technische Lehre begonnen. Eher beiläufig entdeckte er über sein technisches Interesse an Grammophonen seine Liebe zur Swing-Musik. In den folgenden Jahren legte er eine umfassende Plattensammlung an, betrieb einen regen Schwarzhandel mit Swing-Platten und nahm an unzähligen Swing-Veranstaltungen teil. Im November 1942 erfolgte Günters Verhaftung. Im Schutzhaftbefehl wurde ihm vorgeworfen, „durch sein zersetzendes und staatsabträgliches Treiben erhebliche Unruhe in die Bevölkerung“ gebracht zu haben.
Auch Günter Discher musste während seiner Haft im Jugend-KZ Moringen in der „Muna“ Zwangsarbeit leisten. Heimlich intonierten er und die anderen Swings-Kids im Bergwerk ihre Musik: „Erwin Rehn sagte dann in einem wunderbaren Englisch morgens das Orchester und den Titel an, und wir spielten dann und sangen von ‚Jeepers creepers‘ bis zu ‚The flat floot floogie with a floy floy‘, machten wir also morgens dann eine halbe Stunde Swing-Musik im Bergwerk.“ Aus der Musik zog Günter die Kraft zum Durchhalten: „Es war eine Erinnerung und zur Aufmunterung. Und man stellte also doch fest, daß diese Musik die Nazis und das ganze Dritte Reich und alles überleben würde, denn diese Musik ist ja weitaus kräftiger als die ganze Propaganda, die damals in Europa von den Nazis betrieben wurde.“
Der Swing war Günter Dischers ständiger Begleiter. Neben seinem Engagement für die KZ-Gedenkstätte Moringen war er an der Produktion von TV- und Radiosendungen über Swing im NS beteiligt, inspirierte Drehbauchautoren in Hollywood zu dem Film „Swing-Kids“, reiste als Zeitzeuge und Swing- und Jazzexperte herum und galt wohl zu recht als ältester DJ Deutschlands. Günter Discher ist im Jahr 2012 in Hamburg verstorben.
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