Jugend-KZ 1940-1945

Moringen – das erste »polizeiliche Jugendschutzlager« – wurde im August 1940 in Moringen bei Göttingen eingerichtet. Hier waren männliche Jugendliche im Alter von etwa 13 bis 22 Jahren interniert. 1942 entstand nahe dem Frauen-KZ Ravensbrück in Brandenburg ein weiteres Jugend-KZ: das Lager Uckermark für weibliche Jugendliche. Annähernd 2.500 Häftlinge waren aus den unterschiedlichsten Gründen in den beiden Jugend-KZ Moringen und Uckermark inhaftiert. Sie kamen nicht allein aus dem Reichsgebiet, sondern auch aus den militärisch besetzten Ländern, so aus Luxemburg, Polen und Norwegen, Slowenien, aber auch aus Österreich. Die Häftlinge erreichten ihren Bestimmungsort mit der Reichsbahn. In den Fahrplänen für Gefangenentransporte wurden auch die Jugend-KZ Moringen und Uckermark aufgeführt.

Das Lager Moringen befand sich mitten im Zentrum dieser niedersächsischen Kleinstadt. Untergebracht war es in den Gebäuden des bis 1944 parallel bestehenden Werkhauses. Im August 1940 kamen die ersten jugendlichen Häftlinge nach Moringen.

Einweisung

Die Einweisung erfolgte über die Jugend- und Landesjugendämter sowie die Kriminalpolizei vom Reichskriminalpolizeiamt, die ein Vorschlagsrecht zur Inhaftierung »asozialer« und »krimineller« Jugendlicher erhielten. Später erfuhr der Kreis der Einweisungsberechtigten eine erhebliche Ausweitung auf Vormundschaftsrichter, Justizstellen oder die jeweilige Gebietsführung der »Hitler-Jugend« (HJ). Sie alle waren berechtigt, die Haft in einem Jugend-KZ zu beantragen. Vor allem Erziehungsheime und Jugendämter machten von dieser Möglichkeit Gebrauch, um sich missliebiger Zöglinge zu entledigen.

Haftgründe

Eine Reihe sehr unterschiedlicher Gründe konnte zur einer Haft im Jugend-KZ führen: Sie reichten von der Verweigerung des HJ-Dienstes, dem Vorwurf der Arbeitsverweigerung oder Sabotage, dem Vorwurf vermeintlicher Unerziehbarkeit, Renitenz oder Kriminalität und „Rassenschande“ sowie der Zugehörigkeit zur Swing-Jugend bis hin zur Sippenhaft bei politischen Aktivitäten der Eltern. Oppositionelles Verhalten und Widerstand gegen das System konnte ebenfalls ein Einweisungsgrund sein, wie auch der Vorwurf so genannter sittlicher und sexueller Verwahrlosung, genauso wie Homosexualität. Auch aus religiösen (Zeugen Jehovas), eugenischen und rassistischen Gründen konnte eine Internierung erfolgen.

Diese sehr unterschiedlichen Haftgründe müssen vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsideologie betrachtet werden. Bereits geringste Auffälligkeiten im Verhalten Jugendlicher wurden als Anzeichen für Asozialität oder Kriminalität gewertet. Widerspenstigkeit und Auflehnung wurden als »gemeinschaftsfremdes« Verhalten definiert. Damit besaßen die staatlichen Stellen genug Spielraum für Maßnahmen, um sich missliebiger oder tatsächlich verhaltensauffälliger Jungen und Mädchen zu entledigen.

Häftlingszahlen und Außenkommandos

Zwischen 1940 und 1945 waren in Moringen annährend 1.400 männliche Jungendliche im Alter zwischen 13 und 23 Jahren aus einem der genannten Gründe inhaftiert. Zunächst waren die Häftlinge in den Gebäuden des Werkhauses untergebracht. 1941 wurde aufgrund der hohen Belegung des Lagers ein zusätzliches Barackenlager mit doppelter Stacheldrahtumzäunung und Wachtürmen errichtet. Außerdem verfügte das Lager über zwei Außenkommandos; seit Juli 1944 eines in einer unterirdischen Munitionsfabrik in Volpriehausen, etwa zwölf Kilometer von Moringen entfernt, und bereits seit Sommer 1943 eines in Berlin-Weißensee.

Organisationsstruktur

In seiner Organisationsstruktur glich das Jugend-KZ Moringen den KZ für Erwachsene. An seiner Spitze stand ein Lagerkommandant; bis 1944 war es der Kriminalrat und SS-Sturmbannführer Karl Dieter. Die Blockführer des Lagers gehörten der Waffen-SS und dem SD an. Die 120 Mann starke Wachmannschaft bestand aus Angehörigen der SS-Totenkopfverbände. In der Verwaltung des Lagers arbeiteten Zivilpersonen, aber auch SS-Verwaltungsbeamte. Zwischen 1942 und 1943 unterstand das Jugend-KZ für die Dauer von 15 Monaten der »Inspektion für die Konzentrationslager« bzw. dem Wirtschafts-Verwaltungshauptamt – Amtsgruppe D – Konzentrationslager in Oranienburg.

Dr. Robert Ritter

Dr. Robert Ritter, bereits im Zusammenhang der »rassenhygienischen« Erfassung der Sinti und Roma erwähnt, war 1941 zum Leiter des »Kriminalbiologischen Institutes der Sicherheitspolizei und des SD« (KBI) aufgerückt. Die Aufgabe des KBI bestand darin, die mit sicherheitspolizeilichen Aufgaben betrauten staatlichen Einrichtungen im »Kampf gegen Gemeinschaftsfremde« »wissenschaftlich« zu beraten. Des Weiteren sollte ein Archiv mit Daten über alle »asozialen und kriminellen Sippen innerhalb des Reichsgebietes« eingerichtet werden.

Kriminalbiologische Untersuchungen

Darüber hinaus arbeitete Ritter auch als »Leitender Kriminalbiologe« in den Jugend-KZ Moringen und Uckermark. Den Jugend-KZ kam dabei die Aufgabe zu, »ihre Insassen nach kriminalbiologischen Gesichtspunkten zu sichten, die noch Gemeinschaftsfähigen so zu fördern, dass sie ihren Platz in der Volksgemeinschaft ausfüllen können und die Unerziehbaren bis zu ihrer endgültigen anderweitigen Unterbringung (in Heil- und Pflegeanstalten, Bewahranstalten, Konzentrationslagern usw.) unter Ausnutzung ihrer Arbeitskraft zu verwahren.«  Wie Ende der dreißiger Jahre die Sinti und Roma, unterzogen Ritter und seine Mitarbeiter nun die jugendlichen Häftlinge in Moringen und Uckermark einer kriminalbiologischen Erfassung. Diese bestand aus Befragungen zu den Familienverhältnissen über mehrere Generationen, zum Verlauf der Pubertät, zu Freizeitgestaltung und Krankheiten, zu Schulbildung und Beruf. Darüber hinaus wurden die Körper der Jungen und Mädchen vermessen. Zu den Folgen dieser Untersuchungen gehörten auch Zwangssterilisierungen. So sind für Moringen 22 solcher Eingriffe nachgewiesen, die in der Chirurgie der Göttinger Universitätsklinik durchgeführt worden sind.

Blocksystem

Ritter entwickelte im Rahmen seiner Tätigkeit in den beiden Jugend-KZ ein eigenes Blocksystem. Es basierte auf »sozialdarwinistisch und rassenbiologisch orientierten Vorstellungen von einer erblich bedingten Kriminalität oder Asozialität«. Die Zuordnung zu einem bestimmten Blöcken konnte weitreichende Konsequenzen haben: z.B. die Überstellung in andere KZ oder die Einberufung zum Militär im Erwachsenenalter, aber auch die Einweisung in eine geschlossene Heil- und Pflegeeinrichtung oder eine »Bewahranstalt«.

Strafsystem

Der Tagesablauf der jugendlichen Häftlinge war klar geregelt. Ordnung, Sauberkeit, und Disziplin waren die zentralen Werte, die durch Anordnungen, Appelle und Strafen brutal und erbarmungslos durchgesetzt wurden. Neben dem Entzug von Vergünstigungen (zum Beispiel Postsperre) und Ordnungsstrafen, wie das Essen stehend einnehmen zu müssen, wurden vor allem der Essensentzug, das »harte Lager« (Entfernung des Strohsacks), das Strafstehen, der Dauer- und Bunkerarrest (nur alle drei Tage volle Beköstigung, ansonsten Wasser und Brot), die Stockhiebe und das Strafexerzieren (so genannter Strafsport, der nicht selten zum völligen physischen Zusammenbruch führte) von den Häftlingen als besonders schmerzlich empfunden.

Erwin Rehn beschreibt den Lageralltag im Jugend-KZ

Bewegung war nur im Laufschritt möglich. Es verging kein arbeitsfreier Tag, an dem sich die Häftlinge nicht ›sportlich‹ betätigten, ohne Rücksicht auf die Witterung.

Erwin Rehn

»Abends, nach Einschluss, blieb der Blockführer E. noch im Block, und dann ging es weiter bis teilweise zwei Uhr in der Nacht. Bestrafungen wurden schon für geringfügige Sachen, für die es sonst nur ein paar Faustschläge gab, ausgesprochen. Appelle wurden durchgeführt, darunter der menschlich so entwürdigende ›Gesundheitsappell‹, bei dem der Blockführer die Geschlechtsteile der Häftlinge inspizierte. Es gab keinen Sonntag und keinen Feiertag.«

 

Zwangsarbeit

Einen wesentlichen Bestandteil des Moringer Lageralltags bildete die Zwangsarbeit. Bei unzureichender Ernährung und mangelnder Hygiene mussten die Jungen einen mehr als zehnstündigen täglichen Arbeitseinsatz in einer Vielzahl unterschiedlicher Kommandos leisten – beispielsweise in der betriebseigenen Landwirtschaft, in der betriebseigenen Schlosserei, in einer Strickerei, Sattlerei, Schneiderei sowie einer Weberei. Vor allem für die Wehrmacht wurde produziert. Auch Betriebe aus der Umgebung nutzten die jugendlichen Häftlinge als billige Arbeitskräfte. Die beiden größten Arbeitgeber waren die Firma Piller, die sich nur aufgrund der billigen Arbeitskräfte in Moringen angesiedelt hatte, und die Heeresmunitionsanstalt in Volpriehausen, die in einem alten Kalibergwerk unter Tage Munition herstellte. Darüber hinaus waren die jugendlichen Häftlinge unter anderem in einer Zementfabrik, beim Autobahnbau, bei Flussregulierungen, beim Kabelverlegen für die Reichspost und zum »Schwellenstopfen« bei der Reichsbahn eingesetzt.

Das Ende...

Das Ende des Moringer Jugend-KZ kam erst mit dem Ende des NS-Staates. Noch im März 1945 wurden 250 Häftlinge in die Wehrmacht eingezogen. Anfang April 1945 ordnete das RKPA die Räumung des Lagers an. Zurückblieben nur die Schwerstkranken. Für die anderen etwa 500 Häftlinge begann ein 100 Kilometer langer Evakuierungsmarsch, der in den Harz führte. Das Ende ihrer Haft kam für die völlig entkräfteten Jugendlichen erst, als die SS nach vier Tage vor den heranrückenden amerikanischen Truppen floh und die Häftlinge zurückließ. Nicht alle  Häftlinge des Moringer Jugend-KZ erlebten die Befreiung. Aufgrund der mangelnden hygienischen Verhältnisse und der katastrophalen Ernährungslage bei gleichzeitiger Schwerstarbeit kam es zu zahlreichen Todesfällen, von denen 89 von der SS registriert wurden. Die tatsächliche Todesrate dürfte weitaus höher liegen.

Aktuelles

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Veranstaltungsprogramm

Öffentliche Führung zu den Moringer Konzentrationslagern um 16:00 Uhr

Zwischen 1933 und 1945 war Moringen Standort von drei nacheinander bestehenden…

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Öffentliche Führung zu den Moringer Konzentrationslagern um 15:30 Uhr

Zwischen 1933 und 1945 war Moringen Standort von drei nacheinander bestehenden…

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Öffentliche Führung zu den Moringer Konzentrationslagern um 15:30 Uhr

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Presseartikel

Im Einsatz für die Demokratie - Konferenz in der KZ-Gedenkstätte mit 40 Teilnehmern